Was ist das beste Mittel gegen Krieg?
Im Zusammenhang mit dem Putin‘schen Angriffskrieg auf die Ukraine habe ich inzwischen häufiger gehört, dass die Diplomatie versagt habe. In solchen Äußerungen ist dann der Vorwurf unüberhörbar, dass die Diplomaten ja wohl einen schlechten Job gemacht hätten. Ich frage mich, aus welchem anderen Grund man so etwas sagt, als unterschwellig anzudeuten, dass doch vor allem oder die westlichen Diplomaten versagt hätten? Hätte man Putin nicht ein wenig mehr Entgegenkommen zeigen können um das Schlimmste zu verhindern?
Will man die Arbeit der Diplomatie in dieser Frage beurteilen, so darf man nicht einige wenige Wochen vor Putins Losschlagen beginnen. Wenn man das heutige Kriegsgeschehen betrachtet, so reicht ein fortwährendes, ja lückenloses diplomatisches Bemühen um mehr Vertrauen und Sicherheit in Europa mindestens bis in die 1970er Jahre zurück. Damals war es die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, kurz KSZE, die diesen Prozess einleitete, auch bekannt als die Akte von Helsinki. Sie erfuhr in den folgenden Jahrzehnten immer wieder neue Impulse und tagte in mehr als einem Dutzend von Hauptstädten in Europa immer wieder. Hervorzuheben ist die Charta von Paris, die 1990 den Ost-West-Konflikt formal für beendet erklärte, oder die Vereinbarungen von Budapest 1994, in der die KSZE zu einer dauerhaften Einrichtung im Rahmen der Vereinten Nationen wurde und nunmehr den Namen OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) bekam. Parallel dazu gab es eine Vielzahl von weiteren diplomatischen Erfolgen, wie 1984 bis 1986 die Konferenz über sicherheits- und vertrauensbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa (KVAE). Es ging dort um die Abrüstung und Begrenzung von konventionellen Waffen. Bei den ebenfalls erfolgreich abgeschlossenen sogenannten START-Abkommen ging es um die nukleare Abrüstung und Begrenzung. Nicht vergessen dürfen wir die Vier plus Zwei Verhandlungen zur Deutschen Wiedervereinigung, deren sicherheitspolitische Dimension sicherlich über den nationalen Rahmen hinausgeht. Im Fall der Ukraine muss zudem betont werden, dass nach dem Zerfall der Sowjetunion die Ukraine auf eigene Atomwaffen verzichtete und im Gegenzug dafür von Russland die Unverletzlichkeit seiner Grenzen anerkannt bekam. So wurde unter vollständiger Berücksichtigung des Völkerrechts eine Sicherheitsarchitektur für Europa geschaffen, in deren Mittelpunkt immer wieder die Bestätigung der vollständigen Souveränität aller Staaten in Europa und die Unverletzlichkeit aller ihrer Grenzen stand.
Wenn nun eine so weitreichende diplomatische Sicherheitskonstruktion durch einen Teilnehmer von jetzt auf gleich über den Haufen geworfen wird, ist das ja wohl kaum mit einem Versagen der Diplomatie treffend bezeichnet!Möglich ist natürlich, dass sich hinter derartigen Äußerungen Putin-Versteher verbergen, die auf diese Weise wenigstens noch einen Rest ihrer alten Überzeugungen in die neue Zeit retten wollen. Menschlich ist das nur allzu verständlich. Wer gesteht sich schon gerne Fehleinschätzungen ein, obwohl wir doch alle früher oder später irgendwelchen Fehleinschätzungen erliegen. In meinen Augen hat die Diplomatie Hervorragendes geleistet; nur Putin hat ihre jahrzehntelange Arbeit zerstört.